Erfolgsgeschichten

Die einzige Voraussetzung

Unsere Dritte Tradition besagt, dass „die einzige Voraussetzung für die NA-Zugehörigkeit das Verlangen ist, mit Drogen aufzuhören“. Ich weiß nicht, ob ich das Verlangen hatte, mit dem Drogennehmen aufzuhören, als ich in mein erstes NA-Meeting kam. Ganz sicher hatte ich aber den Wunsch, dass der Schmerz aufhört. Ich war sehr, sehr müde. Müde genug, um neugierig auf NA zu sein. Müde genug, um zuzuhören.

In meinem ersten NA-Meeting machte ich eine intensive Erfahrung: Ich traf Süchtige, die genesen. Ich kannte natürlich eine Menge Süchtige. Zu diesem Zeitpunkt lebte ich schon seit Jahren auf der Straße und jeder, den ich kannte, war ein Süchtiger. Aber alle meine süchtigen Freunde nahmen immer noch Drogen. Ich hatte noch nie einen cleanen Süchtigen getroffen. Das war etwas sehr Neues und Anziehendes für mich. Diese Leute erzählten ihre Geschichten und ich konnte mich sofort mit ihnen identifizieren. Das waren offensichtlich Leute wie ich. Der einzige Unterschied war, dass ihr Leben sich nicht darum drehte, jeden Tag irgendwie Drogen zu beschaffen und nicht im Knast zu landen. Sie erzählten über ihr Leben in Genesung. Ihre Augen leuchteten und ihr Leben war offenbar voller Hoffnung und Chancen.

In diesem ersten Meeting war ich als Letzter dran mit Teilen. Ich stellte mich als Süchtiger vor und sagte wahrheitsgemäß, dass ich viele Vorbehalte dagegen hätte, nie mehr Drogen zu nehmen. Ich erzählte der Gruppe, dass ich mir eine Pause vom Straßenleben gönnte und aufgehört hatte zu fixen, aber dass ich im Methadonprogramm sei und auch weiterhin andere Drogen nahm. Zu meiner Überraschung wurde ich von niemandem verurteilt. Sie hießen mich in der NA-Gemeinschaft willkommen und sagten, ich solle wiederkommen. „Du bist genau da, wo du hingehörst“, sagten sie. Sie gaben mir Telefonnummern, eine Meetingliste und etwas, das noch viel stärker wirkte: ihre Annahme.

Ich weiß nicht, warum ich in diesem ersten Meeting beschloss, ehrlich zu sein. Nach Jahren auf der Straße waren Lügen und Betrug meine natürlichen Reaktionen auf jede neue Situation. Aber aus irgendeinem Grund hatte ich erkannt, dass es sinnlos war, diese Leute anzulügen. Der einzige Mensch, dem dies schaden würde, war ich selber. Ich danke meiner Höheren Macht, dass ich einfach und ehrlich darüber sprechen konnte, wie es wirklich bei mir aussah, anstatt den Leuten etwas vorzumachen. Diese Entscheidung hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Weil ich ehrlich war, konnten mir die Leute in NA das sagen, was ich hören musste. Dass mir niemand sagte, was ich tun soll, hat mich sehr beeindruckt. Stattdessen teiltensie ihre eigenen Erfahrungen. Es war allein meine Entscheidung, wie ich diese neuen Erkenntnisse in meinem Leben anwenden wollte. Mit der Zeit fing ich an zu akzeptieren, dass das, was für andere funktioniert hatte, auch für mich funktionieren könnte.

Als ich neu bei NA war, war eine der schwierigsten Sachen für mich, dass ich noch im Methadonprogramm war. Ich hatte eine Menge Vorbehalte dagegen, clean zu werden, und sehr viel Angst, das Methadon abzusetzen. Das Methadonprogramm hatte mir geholfen, ein bisschen Struktur in mein Leben zu bringen, nachdem ich jahrelang auf der Straße gelebt hatte. Ich hatte ein Dach über dem Kopf und arbeitete wieder. Ich hatte Angst, dass ich ohne Methadon wieder in den Wahnsinn von Obdachlosigkeit und Kriminalität zurückfallen würde. Wie immer halfen mir die Weisheit und die Erfahrung der anderen NA-Mitglieder dabei, einen Weg aus diesem Dilemma zu finden. Niemand sagte mir, was ich tun sollte. Stattdessen lebten mir die anderen einfach vor, wie man frei von aktiver Sucht leben kann. Mit der Zeit fing ich an zu glauben, dass es nicht genug war, eine Arbeit zu haben und von der Straße weg zu sein. Wenn ich nicht aufhörte, Drogen zu nehmen, egal ob es legale oder illegale Drogen waren, würde ich die Vorzüge der Genesung nicht in vollem Umfang kennenlernen.

Ich traf die Entscheidung, aus dem Methadonprogramm auszuschleichen. Clean zu werden war sehr schwer für mich, sowohl körperlich als auch gefühlsmäßig. Ich ging zehn Monate lang jeden Tag in NA-Meetings, bevor ich meinen ersten cleanen Tag erlebte. Es gab darin keine Vorbilder für mich. Ich war der Einzige in der Methadonklinik, der freiwillig ausstieg. Jeden Tag musste ich auf dem Weg zur Klinik und zurück einen Spießrutenlauf durch die Dealer, die Pillen verkauften, hinter mich bringen. Auch in den Meetings von NA hatte ich ein Problem. Gleich in meinem ersten Meeting hatte ich erfahren, dass es wichtig ist, offen und ehrlich zu teilen. Wenn ich teilte, sagte ich die Wahrheit. Ich war noch nicht clean, aber ich arbeitete hart daran, es zu werden. Zu meiner Überraschung waren einige Leute wirklich aufgebracht, wenn ich in den NA-Meetings teilte. Eine Person kam nach einem Meeting zu mir und sagte, dass ich kein Recht hätte zu teilen, wenn ich nicht clean sei. Ich war sehr verwirrt und verletzt, als das das erste Mal passierte. Es war das erste Mal, dass ich mich in NA nicht willkommen fühlte. Zum Glück hatte ein älteres Mitglied diesen Wortwechsel mitbekommen und nahm mich beiseite. Sie sagte mir, dass die einzige Voraussetzung für die Mitgliedschaft in NA das Verlangen war, mit dem Drogennehmen aufzuhören. Sie beruhigte mich und sagte: „Komm einfach wieder, du bist genau da, wo du hingehörst.“ Ich danke meiner Höheren Macht, dass ich ihre Botschaft der Liebe und Annahme hören konnte. Und ich kam wieder. Jedes Mal, wenn ich über meine Kämpfe und Zweifel teilte, teilten andere Mitglieder etwas aus ihrer eigenen Erfahrung, das mir half.

Die Weisheit und Erfahrung der anderen NA-Mitglieder war entscheidend für mich in dem Prozess, clean zu werden. Sie halfen mir sogar, eine Krankenversicherung zu bekommen und ins Krankenhaus zu gehen, um die letzte Phase der Entgiftung unter ärztlicher Aufsicht abzuschließen. Jetzt war ich zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben clean und hatte, als ich aus dem Krankenhaus kam, dank NA einen Sponsor, eine Stammgruppe und einen Dienst, die auf mich warteten. Besonders wichtig war, dass ich zugegeben hatte, dass ich meiner Sucht gegenüber machtlos war, und dass ich zu dem Glauben gekommen war, dass nur eine Macht, die größer als ich selbst ist, meine geistige Gesundheit wiederherstellen konnte. Ich wusste es damals noch nicht, aber indem ich die Entscheidung traf wiederzukommen, zuzuhören, zu lernen und dem Beispiel der anderen NA-Mitglieder zu folgen, hatte ich eine Entscheidung getroffen, meinen Willen und mein Leben einer Höheren Macht anzuvertrauen. Dank dieser Höheren Macht bin ich heute, einundzwanzig Jahre später, immer noch clean.


Geschichte aus: Basic Text 6. Auflage, Copright Narcotics Anonymous World Services, Inc. Chatsworth, California