In der Ruhe liegt die Kraft
Genesung läuft nicht immer wie am Schnürchen.
Wir bauen enge Beziehungen zu anderen Menschen und einer Macht auf, die größer ist als wir selbst.
Quelle: Clean Leben, Kapitel 5, Einleitungstext
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…wo soll ich anfangen…
Ich bin auf der Suche nach einer neuen Sponsorin.
Ich will nicht suchen!
Ich will, dass alles gut wird und ich mit ihr, meiner bisherigen Sponsorin, wieder gemütlich auf der Terrasse in der Sonne sitze. Ich will meinen Schritt mit Ihr teilen. Ich habe schließlich auch ein halbes Jahr auf sie gewartet!
Ich war eine gute Sponsee. Ich war fleißig, reflektiert, habe meditiert, an meiner Nervosität gearbeitet, meine Finanzen strukturiert verwaltet, an meiner Verlässlichkeit und meiner Aufrichtigkeit gearbeitet und natürlich auch Schritte geschrieben.
Als sie sich im Dezember aufgehört hat zu melden und die Zeitfenster immer kleiner wurden, in denen ich mich melden durfte, habe ich versucht es nicht persönlich zu nehmen.
Erst ärgerte ich mich, weil ich sah, wie ich von Freundinnen im Schreiben abgehängt wurde.
Jedes Mal, wenn jemand teilte, wie stolz er oder sie war, im Schritt wieder weiter gekommen zu sein, zog eine Gewitterwolke über mir auf und ich überlegte, ob ich mir nicht schnell jemand anderen suchen sollte.
Ich entschied mich zu warten. Auch weil ich es in dieser Beziehung anders machen wollte.
Eine Freundin sagte zu mir: „Probier es einfach mal aus und wiederhole nicht dein Verhalten, womit du dich später schlecht fühlst.“
Schluss machen kann ich gut.
Es gibt viele Dinge, auf die ich nicht stolz und trotzdem gut darin bin.
Also begann ich zu trainieren, eine schlecht laufende Beziehung auszuhalten.
Eine lange Zeit des Wartens begann, in der ich mich durch einige große und mittlere Krisen mit der Hilfe von Freunden hangelte.
Ich überstand Arbeitslosigkeit, Corona, Liebeskummer, Familienstreitigkeiten, finanzielle Engpässe und allgemeine Einsamkeit.
Immer einen Notfallplan und ein Handy voller Kontakte, die mir zur Seite standen, wenn es wieder einmal eng werden sollte.
Ich war sogar eine zeitlang selbst Sponsorin, las Literatur zum Thema und tauschte mich auch hier mit Freunden aus.
Meine Sponsorin blieb emotional unverfügbar und ich gab meinem Eigenwillen nicht nach, Schluss zu machen.
Gute sieben Monate ging das so.
Annahme des für mich Unvorstellbaren, diese Situation so hinzunehmen wir sie war.
Der Schnee des Winters schmolz, die Gärten wurden wieder Grün.
Mit Hilfe von Programmfreunden suchte ich mir clean meinen Weg.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich sehnte mir nach wie vor meine vertraute Sponsorin zurück und meine Gefühle wechselten sich je nach Tagesform dazu ab:
Zeitweise war ich gekränkt, zeitweise hilflos oder auch frustriert.
Mit der Zeit hörte ich auf, mir Vorwürfe zu machen und verfiel in eine Art meditativen Plan B.
Regelmäßig rief ich an, schickte Nachrichten und sporadisch redeten wir.
Rückblickend gab es aber kaum Raum für Weiterentwicklung. Auf große Fragen gab es knappe Antworten und ich reimte mir eine Lösung zusammen.
Irgendwann im Juli, endlich, kam dann der ersehnte, klärende Anruf:
„Ich kann dich nicht weiter sponsern. Es tut mir leid, ich habe ein Medikament vom Arzt erhalten, mit dem ich in alte Suchtmuster verfallen bin. Ich habe mit meiner Sponsorin beschlossen, dass ich meine Cleanzeit nulle und meine Sponsorschaften abgebe.“
Sprachlosigkeit. Ein Rückfall? Auch wenn alles die ganze Zeit danach geschrien hatte, hatte ich die Möglichkeit verdrängt. Einer Person mit so langer Cleanzeit? Wie konnte das passieren?
Stumme Tränen.
Und die plötzliche Wut. Warum habe ich nicht schon im Dezember Schluss gemacht, wie ich es vorhatte? Dann wäre ich jetzt viel weiter. Wieso hatte ich mich auf meinem Weg ausbremsen lassen? Warum war ich so passiv und habe mich nicht genug um mich gekümmert.
Dieses Gefühl sollte ein paar Tage anhalten.
Beim Beten kam mir dann plötzlich die beruhigende Erkenntnis:
Hätte ich 7 Monate vorher Schluss gemacht, hätte ich vermutlich nie erfahren, was eigentlich los war. Ich hätte mir Chancen verbaut, mit ihr in Verbindung zu bleiben. Auch wenn ich knapp sieben Monate eigentlich keine Sponsorin an meiner Seite hatte.
Ich hätte mir Vorwürfe gemacht, mich um mich selbst gedreht und mir sehr lange die Schuld für einen erneuten, vielleicht sinnlosen Beziehungsabbruch gegeben.
Ich habe eines meiner Muster durchbrochen und dieser Beziehung Zeit gegeben.
Was ich noch gelernt habe, ist die Bereitschaft für jede Menge kreativer Lösungsansätze und die Erfahrung, dass das Leben nicht immer nach Plan verläuft.
Und dass Genesung kein Wettkampf ist und abhängig von den vielen Ereignissen um mich herum ist. Sie ist nicht immer daran messbar, in welchem Schritt man sich befindet.
Mit diesem ruhigen Gefühl sehe ich gerade positiv in die Zukunft.