Bitte beachtet, dass es sich bei unseren Beiträgen nicht um offizielle NA-Literatur handelt, sondern die Artikel nur die persönliche Meinung und Erfahrungen der NA-Mitglieder widerspiegeln, welche die Artikel schreiben.
Das Kuchenmeeting
Mein Name ist Lea und ich bin süchtig. Ich komme schon viele Jahre ins Programm und möchte euch heute von einer wichtigen Erkenntnis erzählen, die ich vor kurzem gewonnen habe. Als ich Neuankömmling war, gab es in unserer Stadt leider nur zwei Meetings. Wenn man weitere haben wollte, musste man schon flexibel sein. Rumfragen und offen sein, um Mitfahrgelegenheiten nutzen zu können, oder die Möglichkeit haben, Bus und Bahn leicht zu erreichen. Da ich kein Auto hatte, war klar, dass ich meinen Service nur in einem der zwei Meetings in unserer Stadt machen konnte. Das Meeting war riesig, und es waren echt immer megaviele Leute da. Es fiel mir nicht schwer, Kontakte zu knüpfen. Heute weiß ich, dass dies mein Glück war. Ich machte am Donnerstag meinen Dienst. In diesem Meeting war ein Mann, der besonders herausstach. Ich beobachtete ihn.
Wir machten in diesem Meeting gemeinsam Service. Er war immer fröhlich. Er sprach alle an und machte nebenher noch Veranstaltungen wie K & E mit. Er gab mir gute Empfehlungen und obwohl ich am Anfang nicht ganz zu deuten wusste, wie dieser Mensch wohl so wirklich auf mich wirkte, erkannte ich nach einiger Zeit, dass er wie eine Säule fest in diesem Meeting stand. Es konnte passieren, was wollte, doch er war Donnerstagabend immer da. Ein wenig schien es mir, als wäre er eine treibende Kraft in diesem Meeting. Eines Tages kam er zu mir und sagte: „Jeder im Service darf sich mit seinen Stärken einbringen. Was ist deine?“
Ich ging mit dieser Frage nach Hause und beschäftigte mich einige Tage damit. Schon bald wusste ich, ich kann gut backen; also backe ich! Also begann ich für dieses Meeting zu backen. Die Menschen freuten sich und ich hatte einen Grund, ins Meeting zu gehen. Versteht mich nicht falsch. Es ist nicht so, als hätte ich nicht genügend Gründe gehabt, um ins Meeting zu gehen, doch mit so einer Ankündigung, dass es einen Kuchen geben wird, kam ich primär nicht für mich, sondern für diesen Kuchen und die Leute im Meeting. Ich backte einige Jahre und langsam etablierte sich der Kuchen im Donnerstagsmeeting. Der Freund, der mich darauf brachte, erzählte mir einige Jahre später, dass er sich nun auf Arbeit etc. konzentrieren wollte, und kam von da an nur noch selten ins Meeting.
Mir ist bewusst, dass es keinen Dienst zum Kuchen backen gab und gibt, aber wisst ihr, es half mir sehr, mich selbst auszutricksen und mir zu sagen: die Leute warten auf den Kuchen, also auf ins Meeting. Je länger ich clean wurde, um so selbstverständlicher wurde für mich das Meeting.
So hatte ich eines Tages nach vielen Jahren die Idee, dass doch andere backen könnten, da ich ja nun schon einige Jahre für dieses Meeting gebacken habe. Also backte ich keinen Kuchen mehr und schrieb auch keine Whatsapp Einladungen mehr mit der Ankündigung, welchen Kuchen es gab. Es dauerte nicht lange. Ich glaube, es waren zwei Wochen, da ging ich nicht mehr ins Meeting. Es ging mir schlechter und schlechter, doch ich führte es auf zunehmenden Stress zurück. Ich begann zu arbeiten, und hatte mittlerweile Kinder. Der Alltag hat mich gefangen, und ins Meeting gehen wurde immer schwieriger durch Arbeit, Kind und Partnerschaft. Ich lebte dieses Leben einige Zeit. Wenn ich genau zurückblicke, waren es ein paar Jahre. Ich machte Therapie und besuchte vorzugsweise nur noch online Meetings. Irgendwann war auch Corona rum und ich ging wieder in Live-Meetings. Allerdings nicht donnerstags. Rückblickend betrachtet glaube ich, dass ich ein schlechtes Gewissen mir selbst gegenüber hatte, weil ich wusste, dass das, was ich da gerade tat, nicht gut für mich war, doch ich hatte zu viel Scham, um zurückzukommen, und wieder mit dem backen anzufangen.
Ich bin eben eine gute Süchtige. Ich machte über all die Jahre Service, doch nichts fühlte sich an, als wenn ich Donnerstags mit meinem Kuchen ins Meeting kam. Mein letzter Job hatte es voll in sich. Eine hohe Position, und ich fühlte mich, als wäre ich wichtig. Ich verdiente gut und suchte Prestige aus der „Normalo“-Welt. Doch in dieser Normalo-Welt bekam ich nicht was ich brauchte, und es ging mir trotz guter äußerer Umstände immer schlechter. Ich hatte den Wunsch nach einem “normalen Leben” und ganz “normalen Umständen”.
Heute weiß ich, dass es ein Fehler war, außerhalb NA mitmachen zu wollen. Ich verlor meinen Job und jegliche Gelassenheit, die ich mir hart erarbeitet hatte. Meine Krankheit zeigt sich auf sehr unterschiedliche Arten und Weisen, und ich kann mir als Süchtige gar nicht erlauben, irgendwas darstellen zu wollen, dafür ist meine Krankheit zu gefährlich. Nach einem Zusammenbruch vor wenigen Wochen backe ich wieder. Ich backe um mein f***in Leben und es hilft mir. Ich hörte vor kurzem einiges an Kritik. “Wir sind doch kein Kuchenback-Meeting”! oder Aussagen wie: ”Ich möchte nicht mit Zucker in ein Meeting gelockt werden”. Ich schreibe heute diesen Artikel, um zu zeigen, dass ich nicht für euch backe, sondern für mich. Ich möchte nicht mehr Prestige haben und etwas darstellen. Der Preis ist mir zu hoch. Ich möchte nicht jemand sein – Ich bin schon jemand, und zwar bin ich NA Mitglied, und diesen Titel habe ich mir hart erarbeitet. Ich möchte nicht, wenn es dann noch passt, irgendwo das Meeting rein basteln, wie in den letzten Jahren. Ich wünsche mir, dass ich es schaffe das Meeting an erste Stelle zu stellen und wenn ich dafür bei 40 Grad im Sommer Kuchen und Torten machen muss, dann werde ich das tun. Ich möchte meine Genesung an erste Stelle stellen und dafür brauche ich ein festes Meeting und festen Service. Das habe ich jetzt. Die Arbeit und das ganze Drumherum, das darf sich meiner Genesung fügen, aber meine Genesung sollte sich nicht meinen Umständen fügen, weil meine Krankheit keine Wochenenden , Sonn- und Feiertage kennt. Also werde ich weiter backen. Wenn sich die Leute darüber freuen, dann freue ich mich auch und wenn nicht, ist es auch ok. Ihr dürft den Kuchen essen oder ihn stehen lassen, aber ich muss ihn backen!
Danke fürs Lesen