Bitte beachtet, dass es sich bei unseren Beiträgen nicht um offizielle NA-Literatur handelt, sondern die Artikel nur die persönliche Meinung und Erfahrungen der NA-Mitglieder widerspiegeln, welche die Artikel schreiben.
Nicht selten höre ich die Aussage – zumindest nehme ich es so wahr – dass es nicht gut sei, im Meeting zu jammern und zu klagen. Watte aus den Ohren und stattdessen in den Mund und so.
Nun, wenn alle nur jammern und klagen würden, wäre das sicher richtig und würde niemandem helfen. Und wenn das in jedem Meeting so wäre, würde es NA sicher nicht mehr lange geben.
Zum Glück ist aber eigentlich in fast jedem Meeting jemand dabei, der oder die das entsprechende Problem überwunden hat oder zumindest gelernt hat, damit umzugehen, und davon berichten kann. Oder auch nur sagen kann: Ist bei mir auch so. Denn auch das ist wichtig – Niemals Allein zu sein.
Für mich persönlich ist es ein Zeichen eines gesunden Meetings, wenn es auch Mitglieder gibt, die jammern. Seine Sorgen clean teilen zu können, ist ein großer Schritt in Richtung
Ehrlichkeit
Ich kann nur von mir sprechen, nehme aber an, dass sich viele darin wiedererkennen werden: Ich weiß, dass ich in meiner Draufzeit alles andere als ehrlich war. Zum einen, weil ich gar nicht wusste, wie Ehrlichkeit geht, zum anderen, weil ich über mich selbst sehr wenig wusste. Stattdessen versuchte ich, all mein Leid, meine Angst und meinen Groll mit Drogen zu betäuben, um nicht fühlen zu müssen. Manchmal brüllte ich stockbesoffen mein Leid heraus, aber das half natürlich gar nichts.
Dann zum ersten Mal clean in Meetings zu sitzen, mein Leid, meine Probleme, meine Unfähigkeiten, meine Schuld und meine Scham ehrlich, unbeschönigt und nüchtern zu teilen, war ein riesiger Schritt für mich. Zum ersten Mal konnte ich dort hin sehen, was wirklich ist, und mich so zeigen, wie ich wirklich bin. Und das wichtigste war, dass ich mich selbst so sehen konnte, wie ich bin: ein Süchtiger. Machtlos und unfähig, mein Leben zu meistern.
Und so haben heute all jene, die ihr Leid teilen auch meinen höchsten Respekt.
Aber das allein reicht leider nicht.
Insofern ist der Satz „Nimm die Watte aus den Ohren und steck sie Dir in den Mund“ auch zumindest zur Hälfte richtig. Natürlich hilft es niemandem, nur herumzujammern und niemals zuzuhören.
Bewusstes, aufmerksames und aktives Zuhören ist in meinen Augen die Grundvoraussetzung für
Aufgeschlossenheit
Tatsächlich teilte ich nicht nur mein Leid, sondern hörte auch aufmerksam zu und entdeckte dabei vieles. Ich war bereit, nach Wegen aus der Misere zu suchen und diese in den Beiträgen der anderen Mitglieder zu finden. Und das betraf nicht nur die Meetings, sondern auch viele andere Menschen: Gespräche mit anderen Mitgliedern, Freunden, Familie. Literatur. Ja, sogar mit einer religiösen Gemeinschaft, bei der ich mir zwar ziemlich sicher war, dass ich niemals ihren Glauben teilen würde, sie aber dennoch für ihre Handlungen respektierte und ihnen zuhörte. Ich glaube, sehr viele Menschen haben etwas zu sagen, bei dem es sich lohnt, zuzuhören.
Vieles, was ich hörte oder las, passte für mich, manches nicht.
Das, was passte, versuchte ich in meinem Leben umzusetzen, und damit begann die
Bereitschaft
wirklich etwas zu ändern.
Klingt vielleicht albern, aber am Anfang war es für mich ein höchst komplexes, angsteinflößendes Unterfangen, mir eine Hose zu kaufen oder zum Friseur zu gehen.
Durch meine Sucht war ich komplett aus der Welt gefallen und wie normales Leben geht, wusste ich nicht.
Aber ich tat es, und ich lernte schnell dazu. Ich mietete eine neue Wohnung, regelte meine Finanzen so gut es ging mit wenig Geld. Irgendwann fand ich eine Arbeit und erlebte zum ersten Mal, wie befriedigend und sinnstiftend es sein kann, eine nützliche Arbeit zu tun.
All das tat ich in Begleitung meiner Freunde aus der Gruppe. Alles teilte ich im Meeting, und hörte weiter aufmerksam zu. Manches erwies sich als Fehlschlag, doch aus den Fehlschlägen lernte ich, ohne mich zu verdammen oder zu schämen, und insgesamt wurde alles viel besser.
Irgendwann war ich dann selbst so weit, nicht nur Probleme zu teilen, sondern auch Lösungen. Jedenfalls die, die für mich funktioniert haben.
Die Sorgen und Probleme ändern sich, aber das gehört einfach zum Leben.
Nach wie vor vertraue ich auf Ehrlichkeit, Aufgeschlossenheit und Bereitschaft. Diese drei Worte, in genau dieser Reihenfolge, sind ein wichtiges Werkzeug für mein Leben.
Manchmal fällt es mir nicht ganz leicht, zuzuhören, wenn ein Mitglied jammert und klagt, vielleicht zum zigsten Mal, vielleicht immer dasselbe, über Jahre. Doch ich glaube daran, dass dieses Mitglied das braucht, und ich erinnere mich immer wieder an diese drei Worte. Dann ist es viel leichter zuzuhören, weil ich dankbar für das Wunder bin, dass ein süchtiger Mensch ehrlich sein kann.